B. Tögel: Die Stadtverwaltung Berns

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Titel
Die Stadtverwaltung Berns. Der Wandel ihrer Organisation und Aufgaben von 1832 bis zum Beginn der 1920er-Jahre


Autor(en)
Tögel, Bettina
Erschienen
Zürich 2004: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
427 S.
Preis
€ 44,80
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christian Lüthi, Universitätsbibliothek Bern

Verwaltungsgeschichte gilt eher als langweilige Materie. Umso verdienstvoller ist die Themenwahl von Bettina Tögel, welche in Ihrer Dissertation die Stadtverwaltung Berns zwischen 1832 und 1920 untersucht hat. Nach der liberalen Umwälzung von 1830/31 erhielten die Gemeinden 1832 im Kanton Bern eine neue staatsrechtliche Form, die im Wesentlichen bis heute gültig ist. Die Stadt Bern durchlief zwischen 1832 und 1852 eine Übergangsphase, während der die Burgergemeinde die neu geschaffene Einwohnergemeinde stark bevormundete. 1852 fand eine zweite Güterausscheidung zwischen diesen beiden Körperschaften statt. Erst ab diesem Zeitpunkt funktionierte die Einwohnergemeinde autonom, obwohl ihre Behörden immer noch stark von Angehörigen der Burgerschaft besetzt waren. Bis in die 1880er-Jahre stritten sich konservative und liberale Kräfte um die politische Organisation der Gemeinde. Wie Albert Tanner in seinem Werk «Arbeitsame Patrioten – wohlanständige Damen» detailreich gezeigt hat, setzten die Freisinnigen und Sozialdemokraten zwischen 1861 und 1888 schliesslich ein Modell durch, das einer grossen Schweizer Stadt besser entsprach: Parlament und Urnenabstimmungen ersetzten die Gemeindeversammlung, und der ehrenamtlich arbeitende Gemeinderat wurde von 17 auf neun Mitglieder verkleinert und professionalisiert. Zwischen 1888 und dem Ersten Weltkrieg bauten die neuen Kräfte die städtischen Dienstleistungen und damit die Stadtverwaltungstark aus. Statt wie bisher aus den Ersparnissen fi nanzierte die Stadt nun ihren erweiterten Service mit Steuereinnahmen und Anleihen, die sie ab 1875 aufnahm. Diese Entwicklung basierte nicht nur auf neuen politischen Konzepten, sondern sie war auch eine Reaktion auf die Probleme, die mit der Verdoppelung der Einwohnerzahl in diesem Vierteljahrhundert entstanden. Die Re formen kamen mit dem Gemeindereglement von 1920 zum Abschluss, das als wesentlichste Neuerungen die Proporzwahl und ein reines Direktorialsystem für die Exekutive einführte.

Bettina Tögel hat den Ausbau der städtischen Verwaltungstätigkeit minuziös
recherchiert. In einzelnen Bereichen wie dem Armenwesen, der Wasserversorgung, der Kanalisationsfrage, der Gasversorgung und den öffentlichen Verkehrsbetrieben konnte sie sich auf Lizenziatsarbeiten und Festschriften stützen. Für alle anderen Verwaltungszweige basiert ihre Darstellung auf den Verwaltungsberichten der Einwohnergemeinde, die seit 1852 gedruckt vorliegen, den Stadtratsprotokollen, Reglementen und weiteren Amtsdruckschriften. Nur in Ausnahmefällen hat sie auch die Protokolle des Gemeinderates beigezogen. Mit Tögels Arbeit liegt für viele Verwaltungstätigkeiten erstmals eine Synthese vor. Dazu zählen die Arbeitslosenversicherung, das Bildungswesen von den Kinderkrippen bis zum Gymnasium sowie sämtliche Bereiche der Polizei und der Finanzverwaltung.

In den einleitenden Kapiteln gibt die Autorin die wichtigsten Entwicklungslinien zu Bevölkerung, Städtebau, Vereinen und Sozialstruktur wieder. Dadurch kann sie die Geschichte der Stadtverwaltung in einem grösseren Kontext verorten. Im untersuchten Zeitraum waren die Verwaltung und die Behörden wichtige Akteurinnen, welche zahlreiche Zweige des städtischen Lebens beeinfl ussten. So beschritt Bern in der Sozialpolitik neue Wege, auf denen die Stadt sogar im europäischen Kontext führend war. In der heutigen Zeit, die von Privatisierungen geprägt ist, fällt auf, wie sich selbst bürgerliche Kräfte vehement dafür einsetzten, Energieversorgung und öffentliche Verkehrsmittel in kommunalem Besitz zu behalten.

Da die Dissertation bereits 2002 vorlag, sind Tögels Ergebnisse auch in die Publikation «Bern – die Geschichte der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert» eingeflossen. Sehr wertvoll sind Grafi ken und Überblickstabellen, wie zum Beispiel die Chronologien zu den privaten und städtischen Kindergärten bis 1930 (S. 224), zum Bau kommunaler Schulhäuser bis 1924 (S. 259), zu den Amtszeiten der Chefbeamten oder Schemata zum Aufbau der einzelnen Verwaltungsdirektionen. In der Bibliografie sind ausserdem sämtliche Reglemente und Verordnungen nach Direktionen aufgelistet. (Einzig eine Übersichtstabelle über die Personalbestände sucht man vergebens.) Sehr nützlich ist ferner das Register, dass gezieltes Suchen nach Personen, Verwaltungszweigen und Themen erleichtert. So könnte die Arbeit auch Politikerinnen und Politikern als Nachschlagewerk dienen, um aktuelle Geschäfte mit historischer Tiefe zu versehen.

Die Arbeit von Bettina Tögel bildet eine nützliche Grundlage für weitere Forschungen. Obwohl die Publikation einen guten Überblick zum Thema «Stadtverwaltung» bietet, bleiben Fragen offen. Wünschbar wäre es, mit einem vergleichenden Ansatz die Besonderheiten Berns stärker herauszuarbeiten. Im Vergleich mit den anderen grossen Schweizer Städten liesse sich eruieren, in welchen Bereichen der Ausbau der Stadtverwaltung in Bern allgemeinen Trends folgte und wo Bern führend oder schwach war. Diese Fragen sind im Fall Berns besonders von Bedeutung, da die Bundesstadt immer wieder als «Beamtenstadt» tituliert wird. In diesem Zusammenhang wäre es zudem interessant, etwas über die Wahrnehmung der Verwaltung in der Öffentlichkeit zu wissen. Dazu müssten unter anderem politische Debatten in Tageszeitungen untersucht werden.

Zitierweise:
Christian Lüthi: Rezension zu: Tögel, Bettina: Die Stadtverwaltung Berns. Der Wandel ihrer Organisation und Aufgaben von 1832 bis zum Beginn der 1920er-Jahre, Zürich, Chronos, 2004, 427 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 66, Nr. 4, Bern 2004, S. 235f.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 66, Nr. 4, Bern 2004, S. 235f.

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